Überblick über die Graduiertenschule

Die Graduiertenschule Human Development in Landscapes

Um die Entwicklung menschlicher Gesellschaften zu verstehen, muss man die Wechselbeziehungen zwischen dem Menschen sowie seiner physischen und seiner wahrgenommenen Umwelt genau erfassen. In der Graduiertenschule Human Development in Landscapes an der Universität Kiel wird dies anschaulich durch zahlreiche Promotionsprojekte, die archäologische Probleme angegangen haben und angehen. Während die Naturwissenschaften Umweltbedingungen präzise beschreiben, können zugleich Kulturwissenschaften und Archäologie wichtige Hinweise und Anhaltspunkte für die wissenschaftliche Analyse liefern.

Intensivierte Vernetzungen zwischen akademischen Disziplinen, der wachsende Bedarf Promovierender an analytischer Ausstattung und effizienter Infrastruktur, aber auch eine zunehmend internationalisierte Forschungslandschaft schufen die Notwendigkeit für die Einrichtung einer multidisziplinären Graduiertenschule (GS). Diese Schule stellt unseren Doktoranden neue Forschungs- und Kommunikationsstrukturen zur Verfügung und ermöglicht es ihnen damit, innovative Forschung zu betreiben. Die Schule ist Teil der Exzellenzinitiative der deutschen Bundesregierung.

Wir definieren Landschaft als einen dynamischen Raum sozialer, kultureller und ökologischer Bedeutung, der sich interaktiv mit den menschlichen Gesellschaften entwickelt, die ihn einnehmen. Dementsprechend skizzieren wir ein Graduiertenschul-Konzept, das Informationen aus Molekularbiologie und Archäologie, aus Geoinformatik und Kunstgeschichte, aus Geophysik und Isotopenforschung, aus Alten Sprachen und Paläoökologie, aus schriftlichen und mündlichen Überlieferungen und Paläoklima zusammenführt, um diese interaktive Entwicklung zu studieren und zu verstehen. Die Dynamiken der menschlichen Entwicklung – und damit von Landschaft und Lebensraum – werden erfasst durch ein komplexes Zusammenspiel diverser Faktoren (z.B. biologische Merkmale sozialer Gruppen, Bedingungen der natürlichen Umgebung, gesellschaftliche Konstanten und ihre materiellen Repräsentationen), die durch die gemeinsame Forschung unserer Disziplinen abgedeckt werden. Die Ergebnisse der Forschung können neue Impulse für das heutige Landschafts-und Kulturmanagement geben.

Das Wissenschaftliche Konzept

Die umfassende Thematik der Entwicklung menschlicher Gesellschaften in ihrer kulturellen und natürlichen Umgebung ist verbunden mit dem Aufdecken von Querverbindungen zwischen verschiedenen Faktoren: Dem Einfluss des Menschen auf die Natur und umgekehrt. Gegenwärtig muss die natürliche Veränderung von Umweltbedingungen zeitlich genauer erfasst werden, während es zugleich gilt, den menschlichen Einfluss auf die Umwelt nachzuvollziehen. Das Erschaffen kultureller Umgebungen erweitert die Bedeutung von Landschaft: Neben natürlichen Gegebenheiten (individuell: Gesundheit und Genetik; ökologisch: Boden, Klima, Vegetation; technologisch: Wind- und Wasserkraft oder natürliche Ressourcen) spielen soziale Konstanten (soziale Hierarchien, Ideologien) eine entscheidende Rolle in der Gestaltung von Landschaften.

In diesem Konzept von Landschaften spiegeln sich soziale Umwelten nicht nur in materiellen Hinterlassenschaften, sondern auch in räumlichen Prägungen von Mobilität und Nachhaltigkeit. Die Entwicklung sozialer Räume unter spezifischen Umweltbedingungen ist verbunden mit den ideologischen Systemen, die Gesellschaften aus wirtschaftlichen Gründen oder für rituelle Zwecke zusammenhalten.

Insofern umfasst das Studium von Landschaften nicht nur soziale, demografische und Umwelt-Rekonstruktionen, sondern auch die ideologischen Veränderungen hinsichtlich „Landschaften“, also die Vorstellungen, die Individuen und Gesellschaften von „Natur“ haben.

Hochdynamische raum-zeitliche Prozesse liegen den von zahlreichen Disziplinen gesammelten Daten zu Grunde und das Verständnis dieser Prozesse erfordert Expertise in paläoklimatischer, paläoökologischer, paläodemografischer und kultureller Forschung. Obwohl die beteiligten Prozesse globalen Charakter aufweisen und die gesamte Spanne der menschlichen Geschichte betreffen, konzentrieren sich Fallstudien vor allem in Europa und angrenzenden Regionen auf das Holozän, die entscheidende Epoche des Wechselspiels von Mensch und Landschaft.

Die Aneignung von Landschaften durch Gesellschaften und ihre mehrdeutigen Symboliken lassen Raum für viele verschiedene Rekonstruktionen der Umwelten verschiedener sozialer Gruppen und Kulturen.

Drei Forschungscluster und drei Plattformen

Dem zu Grunde liegenden Wissenschaftlichen Konzept entsprechend ist es unerlässlich, die Verbindung zwischen kultureller und natürlicher Umwelt in drei Hauptthemen einzuteilen:

  • Wie nahmen menschliche Gruppen ihre natürlichen und kulturellen Umwelten und damit ihre Landschaften wahr? Welche Mittel setzten Gesellschaften ein, um ihre Landschaften zu strukturieren?
  • Wie beeinflussten demografische und technische Veränderungen die Entstehung sozialer Gruppen und Landschaften? Welche genetische Ausdifferenzierung ist in Tier- und Menschengruppen nach der Vor-Formung von Umweltbedingungen zu erkennen?
  • Wie veränderten sich Umweltbedingungen und wie wurde sozialer Raum innerhalb der neuen lokalen, regionalen und globalen Bedingungen re-organisiert? Welche Arten von Landschaften entwickelten sich nach den wiederholten Interaktionsprozessen zwischen Natur und Gesellschaft?

Die drei verwandten Forschungsthemen dienen als die Hauptforschungsfelder (Cluster) der Graduiertenschule: Gesellschaft und Reflektion, Sozialer Raum und Landschaft, Anpassung und Innovation. Da die dem Konzept von Landschaft als sozialer Raum und natürliche Umwelt, die als Träger der Handlungen menschlicher Gruppen fungiert, zu Grunde liegenden universell bedeutenden Faktoren die thematische Vernetzung mehrerer Disziplinen erfordern, ist die Promotionsforschung in den Clustern auf höchst interdisziplinäre Unterthemen ausgerichtet.

Diese Forschung erfährt Unterstützung durch drei organisatorische Plattformen, die eine Harmonisierung von Wissenschaftskulturen und didaktische Hilfestellung bieten (Kommunikationsplattform), Zugang zu zahlreichen Hilfsmitteln und Expertise in analytischen Methoden bereitstellen (Technische Plattform) und den Promovierenden beim Beschaffen von Quellen wie Text- und Bilddatenbanken helfen (Geisteswissenschaftliche Plattform).

Johanna-Mestorf-Akademie für Mensch-Umwelt-Wandel und Landschaftsarchäologie

Eine neue nachhaltige Einrichtung, die Johanna-Mestorf-Akademie (JMA), ist im Dezember 2011 als zentrale Einrichtung der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel gegründet worden. Benannt ist sie nach Johanna Mestorf (1828-1909), die in Kiel archäologische und ethnografische Forschung betrieb. Mestorf war die erste weibliche Museumsdirektorin (1891) und Professorin (1899) in Deutschland/ Preußen. Die JMA fördert Forschung und Ausbildung im Bereich ‘Gesellschafts-, Umwelt-, Kultureller Wandel’ (‘Societal, Environmental, Cultural Change’, Kiel SECC), einem der vier Forschungsschwerpunkte der CAU. Die Graduiertenschule Human Development in Landscapes ist Kernbestandteil sowohl der Johanna-Mestorf-Akademie als auch von Kiel SECC.

Wichtigster Partner der Graduiertenschule ist das Zentrum für Baltische und Skandinavische Archäologie (ZBSA) auf Schloss Gottorf, Schleswig, welches seit deren Gründung an der JMA beteiligt ist. Die langjährige Zusammenarbeit ist durch ein offizielles Kooperationsabkommen geregelt, das durch die JMA verstärkt wird und sich direkt in der Organisationsstruktur widerspiegelt.

Mitglieder der JMA forschen in allen unten genannten Disziplinen, die mit Aspekten von Mensch-Umwelt-Wandel und Landschaftsarchäologie in Beziehung stehen:

Archäoinformatik – Archäozoologie – Archäobotanik – Historische Geobotanik – Pflanzenökologie – Ökosystemforschung – Landschaftsökologie – Geoinformation – Bodenkunde – Mineralogie – Material-Mikroanalyse – Materialwissenschaft – Geophysik – Physische Geografie – Isotopenforschung – Paläoklimatologie – Urgeschichtliche Archäologie – Historische Archäologie – Klassische Archäologie – Alte Geschichte – Sozial- und Wirtschaftsgeschichte – Regionalgeschichte – Ökonomische Regionalforschung – Klassische Philologie – Sozialpsychologie – Medizin – Humanbiologie – Molekularbiologie – Psychologie – Mittelalterliche und Moderne Kirchengeschichte – Europäische Ethnologie – Umweltgeschichte – Umweltarchäologie – Umweltanthropologie – Multimedia-Informationsverarbeitung.

Die Ziele der JMA sind:
– die interdisziplinäre Forschung innerhalb der CAU und mit nationalen und internationalen Partnern zu stärken;
– gemeinsame Projekte zu entwickeln;
– die Zusammenarbeit zwischen universitärer und nicht-universitärer Forschung auszubauen;
– Forschungs- und Ausbildungskompetenz in den Mittelpunkt zu stellen;
– forschungsorientiertes akademisches Training für junge Wissenschaftler zu entwickeln und zu fördern;
– Promovierende zu unterstützen, einschließlich Karriereberatung;
– Forschungsinfrastruktur und technische Plattformen zu entwickeln, aufzubauen und zu unterhalten;
– Informationen über Forschungsprojekte und Ergebnisse zu sammeln;
– Wissenstransfer und Public Outreach zu fördern.

Die CAU nutzt ein hochentwickeltes infrastrukturelles Schema, in dem Ressourcen und Expertise zur Forschungsunterstützung in Plattformen organisiert sind und von den Forschungsschwerpunkten gesteuert werden. Daher stellt die JMA die Steuerung der weiteren Entwicklung der Infrastruktur und der GS in langfristiger Perspektive bereit.

Die Johanna-Mestorf-Akademie wurde während der Vollversammlung der Graduiertenschule am 1. Dezember 2011 gegründet und am 14. Dezember vom Senat der Universität Kiel als zentrale Einrichtung installiert. Die akademischen Mitglieder der Graduiertenschule stimmten dafür, erste Mitglieder der JMA zu sein. Sie ernannten den neu gewählten Vorstand der Graduiertenschule zum ersten Vorstand der JMA. Des Weiteren ernannten sie die ersten Direktoren der JMA – Johannes Müller als Sprecher der GS und Claus von Carnap-Bornheim als Direktor der Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloss Gottorf.

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